Im Herbst 2014 erschien David Nicholls‘ Roman „Us” in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Drei auf Reisen“ im Kein & Aber Verlag. Die „Drei“ – das sind Douglas Petersen, seine Frau Connie und ihr gemeinsamer Sohn Albie.
Biochemiker Douglas Petersen ist ein Mann, die sich in nur drei Worten beschreiben lässt: ein netter Kerl. Er ist konservativ bis spießig, aber bestens organisiert; in emotionalen Belangen unbeholfen, aber bemüht. Die Ankündigung seiner Frau, dass sie mit dem Gedanken spiele ihn zu verlassen, verunsichert ihn zutiefst. Unsicher ist er auch in ästhetischen Fragen, in denen er glaubt, anders als seine Frau und sein Sohn, nicht auf die eigene Intuition vertrauen zu können.
Künstlerin und Freidenkerin Connie, leidenschaftlich und chaotisch, begegnet Douglas beim ersten Kennenlernen als geduldige und einfühlsame Zuhörerin. Seine wissenschaftlich motivierte Fruchtfliegen-Faszination nimmt sie mit Humor und macht Fliege Bruce zu ihrem ersten gemeinsamen „Haustier“. Die Gegensätzlichkeit der beiden bleibt trotzdem offenkundig und nach 20 gemeinsamen Jahren stellt Connie sich nicht zum ersten Mal die Frage, was sie und ihren Mann eigentlich verbindet.
Sohn Albie, der kurz vor dem Schulabschluss steht und später Fotografie studieren will, sieht sich selbst ganz in der Rolle des vom Vater missverstandenen und missachteten Rebellen. Sein Verhalten ist schlicht spätpubertär, denn noch steckt Albie voll jugendlichem Egoismus, Überlegenheitsgefühl und Drang nach Anderssein.
Die Beziehungsgeschichte der Drei wird aus Sicht von Ehemann und Vater Douglas in kurzen Rückblenden erzählt. Hier zeigt sich Nicholls Routine als Drehbuchautor, denn die Mikro-Kapitel, die meist nur wenige Absätze lang sind, machen das Buch zu einer einfachen und schnellen Lektüre. Zu einer einfachen und seichten Lektüre wird der Roman hingegen, weil Nicholls am Ende die Krise zwischen den Eheleuten und den Konflikt zwischen Vater und Sohn durch einen doppelten Griff in die Kitsch-Kiste löst: Zum einen lässt er das Schicksal eingreifen, um in einer lebensbedrohlichen Situation eine Annäherung zwischen Douglas und Albie herbeizuführen. Zum anderen verwandelt er die Entfremdung der Eheleute, die Douglas lange quält und die realistischerweise vor allem Verletzungen und Einsamkeit bedeutet hätte, in ein reines Pseudo-Problem. Ob die Ehepartner sich schließlich trennen, soll hier nicht verraten werden. Es ist im Grunde auch unwichtig, denn Nicholls interessiert sich schlussendlich weniger für die Psychologie seiner Figuren als dafür, seinen Lesern eine Welt zu entwerfen, in der sich alles zur Zufriedenheit aller regelt. In drei Worten: Kitsch bleibt Kitsch.
Die Idee zum Buch, das muss man Nicholls allerdings zugutehalten, ist originell. Statt Familientherapie entscheiden sich die Petersens nämlich für den Antritt einer bereits länger geplanten Reise. Das Ganze soll eine moderne Abwandlung einer „Grand Tour“ durch Europa werden, um dem Sohn französische, flämische, deutsche und italienische Meisterwerke nahezubringen. Ursprünglich traten eine solche Bildungsreise vor allem junge Männer aus der Oberschicht im 18. und 19. Jahrhundert an, um ihren Horizont zu erweitern und sich fernab elterlicher Kontrolle auszuleben. Prominentestes britisches Beispiel ist sicherlich Lord Byron.
Die Gemälde, die die Petersens betrachten, hätten für die Familienmitglieder einen sehr guten Hintergrund abgeben können, um über sich und die anderen nachzudenken, Bekanntes zu hinterfragen und neue Perspektiven zu eröffnen. Leider bleiben die Museen jedoch nur Kulisse und die Gemälde nur Staffage. In der Danksagung am Ende nennt Nicholls Wikipedia und Google Maps als „große Hilfe”. Genauso liest sich das Buch dann leider auch, wobei manche Wikipedia-Einträge zu den genannten Orten und Gemälden sicherlich spannender und lehrreicher sind als die spärlichen Beschreibungen, die der Roman bietet. Ein Beispiel ist „Das Experiment mit dem Vogel in der Luftpumpe“ des englischen Malers Joseph Wright of Derby, über das es im Roman nur heißt, es sei „ein Gemälde aus der Aufklärung, das einen Mann zeigt, der einen Kakadu erstickt; ziemlich makaber, aber zumindest verschmolz es wirkungsvoll unsere [Douglas’ und Connies] Interessen an Kunst beziehungsweise Wissenschaft.“ (S. 164). Da Nicholls sich generell auf solch knappe und oberflächliche Randnotizen beschränkt, vergibt er die Gelegenheit dem Roman Tiefe zu verleihen. Schade also, dass die intelligente Idee für dieses Buch einer eher trivialen Geschichte weichen musste, die sich wahrscheinlich gut verkaufen, aber nicht als Grand Literat(o)ur in Erinnerung bleiben wird.
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Rezensionsexemplar:
David Nicholls, Drei auf Reisen. (Berlin, Kein & Aber, 2014)
Illustrationen:
Robert Delaunay, Air, fer et eau, étude. 1937
Joseph Wright of Derby, An Experiment on a Bird in an Air Pump, 1768